Interview mit Thea Eymèsz
Wie sind Sie zum Filmschnitt gekommen?
Ich bin 1960 als Fotolaborantin aus Bremen nach München gekommen. Der Beruf wurde mir allerdings viel zu technisch, und ich lernte jemanden kennen, einen später sehr guten Freund, der mich nach Geiselgasteig vermittelte, in die Bavaria. Dort habe ich zwei Jahre in der Trickabteilung gearbeitet. Damals wurde Trick noch anders gemacht als heute. Das war eine sehr schöne Arbeit, und vor allem hatte man sehr gute Verbindungen mit den Schneideräumen, mit Ateliers, mit Kopierwerken, eigentlich in alle Richtungen. 1962 habe ich dort aufgehört. Mein damaliger Freund hat Dokumentationen und Repräsentationsfilme gemacht. Lange Zeit hatte ich ihm über die Schulter geschaut, wie er arbeitete, und irgendwann hat er gesagt: So, jetzt hast du lange genug zugeschaut, jetzt mache es bitte selber. Das heißt, ich bin nie Assistentin gewesen, ich bin sofort ins kalte Wasser gestoßen worden.
Was waren das für Filme?
Das waren kleinere Dokumentationen, sehr viele Repräsentationsfilme fürs Rote Kreuz und das Bundespresseamt. Außerdem hat er in der Bavaria gedreht mit einer Produktionsfirma, die gibt es schon lange nicht mehr, die hieß ifi film, und da hat er auch kleinere Filme gemacht. Das Fernsehen steckte ja eigentlich noch sehr in den Anfängen.
Und der hat Sie dann einfach an den Schneidetisch gesetzt?
Ja, er war der Meinung, ich könnte das inzwischen alleine, was damals nicht ganz so einfach war. Sobald also ein Film fertig geschnitten war, haben wir zum Teil bis zu 20 Perfo-Bänder gehabt und damit gemischt. Wobei man damals bei der Mischung auch noch nicht rückwärts fahren konnte, um – hatte man sich vertan – kleine Stückchen zu ändern, sondern man mußte immer wieder ganz von vorne anfangen zu mischen.
Das heißt, Sie haben die Verantwortung für die Filme gleich in die Hand bekommen.
Natürlich nur nach ausführlicher Diskussion. Besser konnte es mir aber gar nicht gehen, daß ich vom ersten Film an, den ich in der Hand hielt, die Gestaltung mitbestimmt habe und niemals als Assistentin gearbeitet habe. Ich habe das umgesetzt, was ich mir vorstelle, und wenn ich einen Rohschnitt gemacht hatte, dann haben wir angefangen zu diskutieren: Das ist nicht so gut, das machen wir noch mal usw. Ich habe die gesamten 40 Jahre lang, die ich in dieser Branche war, relativ wenig Kontakt zu Kollegen und Kolleginnen gehabt. Wir kennen uns alle, wir mögen uns, aber über solche Dinge wurde sehr wenig gesprochen, weil der Konkurrenzkampf, bis heute, unheimlich groß ist. Aber ich habe niemanden kennengelernt, der nie Assistentin war. Das führte auch dazu, daß meine erste Assistentin, die ich hatte, mir beibringen mußte, was sie zu tun hatte.
Wie ging es dann mit Ihrer Karriere weiter?
Nachdem ich die Trickabteilung verlassen hatte, habe ich nur noch frei gearbeitet, ich war überhaupt nicht mehr angestellt von 1962 bis 2002. Ich habe damals zunächst sehr viel Synchronisationen gemacht, und zwar hauptsächlich Filme aus Italien. Das war damals noch relativ aufwändig: Man bekam den Originalfilm mit Lichtton aus Italien geschickt und mußte sich erstmal den Lichtton überspielen. Dann mußte das Buch übersetzt und die Synchrontexte geschrieben werden. Dazu kam das Einschneiden von nachgedrehten Bildern. Man nahm das damals ja sehr genau, daß alles im Film auch wirklich auf deutsch war, und gab es etwa eine Szene, in der ein Schauspieler etwas in italienisch von einem Zettel abliest, dann wurde dieses Bild eben nachgedreht, so daß der entsprechende Text auf dem Zettel in deutsch zu sehen war. Neben der Synchronarbeit schnitt ich zudem viele Dokumentationen für Kino und Fernsehen. Von 1968 an begann ich, mit Fassbinder zu arbeiten, bis 1976. Außerdem habe ich viel Werbung gemacht, Fernsehen und besonders Dokumentationen, am liebsten mit Erwin Leiser. Wir haben, glaube ich, von 1983 an 15 Filme zusammen gemacht, eine für mich unvergeßliche Zeit.
Wie war die Arbeit mit Erwin Leiser?
Ich habe auch alle Dokumentationen ohne Assistenz gemacht. Denn da ist die Vorarbeit, das Sichten der Bilder und das Lesen der Texte, die gesprochen werden und eventuell später in Kommentare umgesetzt werden, also diese vorbereitenden Tätigkeiten sind im Endeffekt die Arbeit, die länger dauert als das eigentliche Schneiden des Films. Ich habe mit Leiser zum Beispiel den Dreiteiler „75 Jahre UFA“ gemacht, bei dem wir 60.000 Meter Material zur Verfügung hatten und Ausschnitte aus alten Filmen ab 1898. Hier das rauszusuchen, das man für das Wichtigste hielt, um Filmgeschichte so darzustellen, daß man sie sich gerne anguckt, daß man etwas daraus lernt und es auch ein bißchen spannend ist, war schon eine enorme Arbeit. Das waren aber alles Arbeiten, die er mich immer alleine hat machen lassen, nachdem wir gemerkt haben, voll auf einer Linie zu sein. Ich vermisse Erwin Leiser immer noch, obwohl er schon acht Jahre tot ist.
Wie sind Sie eigentlich auf Rainer Werner Fassbinder getroffen?
Es war so, daß ich es während meiner Synchrontätigkeit mit seinem Film „Götter der Pest“ zu tun bekam. Ich arbeitete damals an der Synchronisation eines anderen Films und lernte zunächst den Komponisten von „Götter der Pest“ kennen, Willi Rabenbauer (d.i. Peer Raben), der ja zu der Zeit alles mögliche gemacht hat bei Fassbinder. Er war im Studio nebenan seinerseits mit der Synchronisation des Films beschäftigt. Damals machte man das ja noch mit unendlich vielen Schleifen. Und sie hatten es wohl geschafft, den ganzen Film auseinanderzunehmen und in Schleifen zu legen, bekamen sie aber nicht wieder zum gesamten Film zusammen. Und in seiner Not fragte Willi mich, ob ich das nicht hinbekommen würde. Da habe ich gesagt, klar! Ich kannte den Fassbinder aber noch nicht, damals war er ja noch nicht so bekannt. Und so saß ich da in der Bavaria in Geiselgasteig in meinem dunklen Schneidraum und versuchte, diesen Film wieder zusammenzusetzen und ihm auch die Sprache anzulegen. Während dieser ganzen Zeit ging dann ab und an die Tür auf, und es kam jemand rein und ging wieder raus. Irgendwann habe ich den Willi Rabenbauer dann gefragt: „Sag mal, wer kommt da eigentlich immer rein und geht wieder raus?“ Und Willi sagte: „Das ist der Rainer Werner.“ Und ich sage: „Ja, warum kommt der nicht und sagt Guten Tag?“ „Er traut sich nicht, er hat ja vorher noch nie mit einer gelernten Cutterin gearbeitet.“ Und so habe ich diesen Film dann fertiggestellt und gemischt. Fassbinder hat dann später mal zu „Götter der Pest“ gesagt: „Ursprünglich war der Film anders gedacht, aber als sie die Schleifen zusammengesetzt hat, brachte sie das Material einfach in eine andere Reihenfolge!“ Scheinbar hat ihn das aber doch nicht so sehr gestört, denn das war der Beginn unserer Zusammenarbeit, die 17 Filme gehalten hat.
War Fassbinder denn später im Schneideraum dabei?
Nein, er war eigentlich nie dabei, denn während ich einen Film schnitt, drehte er bereits seinen nächsten. Während gedreht wird, was ja auch normal ist und was ich auch immer beibehalten habe, fing ich an zu schneiden. Am Abend kam er manchmal vorbei. Und nach Abdrehen war ich ungefähr eine Woche später fertig. Das war mit Fassbinder so, daß wir uns sehr schnell auf einer Wellenlänge gefunden haben. Und diesbezüglich habe ich eigentlich immer ziemliches Glück gehabt mit den Regisseuren.
Das heißt, Sie konnten stets Ihre Kreativität uneingeschränkt entwickeln?
Ja, auf jeden Fall. Und die Reaktion der Regisseure war auch meistens sehr positiv, weil ich am Schneidetisch etwas aus dem Material mache, in dem ich meine eigene Vorstellung einbringe. Und das wurde dann eben, nicht immer, aber meistens, akzeptiert. Bei der Abnahme des Rohschnitts von „Schuldig“, einem TV-Film, fand ein kurzer Dialog zwischen Kameramann und Regisseur statt, über den ich mich heute noch freue: Regisseur: „Das haben wir uns doch ganz anders vorgestellt.“ Kameramann: „Ja ja, aber sag ihr bloß nicht, wie!“
Wie würden Sie Ihre Berufsauffassung formulieren?
Ich habe viele gute und auch einige schlechte Filme geschnitten. Mein Bemühen war es immer, auch aus dem Schlechtesten das Beste zu machen, das mir möglich war. Und darum hat mir jedes Projekt auch Spaß gemacht.
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