Hommage

Komplizin der Kreativität: Die Editorin Thea Eymèsz

Die Hommage von Film+ würdigt in diesem Jahr bereits zum dritten Mal das Lebenswerk einer Editorin oder eines Editors, dessen Werk prägend war für die deutsche Kinematographie. Nach Klaus Dudenhöfer und Brigitte Kirsche, deren Wirken in den vergangenen Jahren im Fokus der Film+-Hommage stand, gilt in diesem Jahr die mit einer Ehrung durch den BFS – Bundesverband Filmschnitt verbundene Hommage dem zwischen Spiel- und Dokumentarfilm alternierende Œuvre von Thea Eymèsz.

Wie so oft in der Filmgeschichte, so wollte es auch hier der Zufall, daß sich die Wege zweier Kreative für einige Jahre äußerst fruchtbar kreuzten, um große Werke des deutschen Nachkriegsfilms zu erschaffen. Peer Raben war es, der die junge Editorin Thea Eymèsz eher zufällig mit einem der ersten Filme Rainer Werner Fassbinders zusammenbrachte. Thea Eymèsz, die Anfang der 60er Jahre als gelernte Fotolaborantin im Trickstudio der Bavaria bei Theodor Nischwitz – heute nicht zuletzt bekannt durch seine unvergessenen Effekte für die TV-Serie “Raumpatrouille Orion“ – begonnen hatte, war seit 1964 als freiberufliche Editorin tätig. Sie war nie Assistentin gewesen, hatte das Schnitthandwerk über die Praxis erlernt und durch die Montage zahlloser Industriefilme und kleinerer Dokumentationen ihre künstlerische Intuition erworben.

Mit “Götter der Pest“ traf sie 1968 dank erwähnten Zufalls auf das Werk eines jungen Filmemachers, das sie für die kommenden fast zehn Jahre mitgestalten sollte. Der Komponist Peer Raben saß eines Tages in einem Münchner Tonstudio an der Synchronisation von “Götter der Pest“ und hatte sich buchstäblich in den Schleifen des Films verfranst. Er klopfte im Studio nebenan, wo Thea Eymèsz an der Synchro eines Films saß, und bat um Hilfe. Eymèsz setzte den Film zusammen, der Rest ist Geschichte: Als eine von Fassbinders Konstanten begleitete sie seine Entwicklung von da an mit Filmen von “Warnung einer heiligen Nutte“ (1971) über “Angst essen Seele auf“ und “Effi Briest“ (1974) bis zu “Satansbraten“ (1976), eines von Fassbinders künstlerischen Höhepunkten. Fassbinder hatte der dramaturgischen Entwicklung seiner Drehbücher nie übermäßig viel Zeit gewidmet, doch in Thea Eymèsz hatte er seine zweite erzählerische Instanz gefunden. Sie war Komplizin seiner schwelenden Kreativität und gleichsam Korrektiv seines atemlosen Schaffens. Zu “Götter der Pest“ sagte Fassbinder einmal im Scherz: “Ursprünglich war der Film anders gedacht, aber als sie die Schleifen zusammengesetzt hat, brachte sie das Material einfach in eine andere Reihenfolge!“

Während dieser Zeit, als sie einen Film Fassbinders montierte, während er bereits den nächsten drehte, entwickelte Thea Eymèsz ihre auch später beibehaltene Arbeitsmethodik, zunächst alleine einen Rohschnitt anzufertigen und erst diesen dann mit dem jeweiligen Regisseur anzuschauen. Auch die weiteren wesentlichen Schaffenshöhepunkte ihres Werks, vor allem die 15 Filme umfassende Zusammenarbeit mit dem Dokumentarfilmer Erwin Leiser, entstanden dank dieser Herangehensweise. Filme mit historischem Hintergrund wie “Hiroshima – Erinnern und Verdrängen“ oder “Die UFA – Mythos und Wirklichkeit“ brillieren nicht zuletzt dank ihrer Quellenvielfalt und damit einer Materialfülle, der Eymèsz überwiegend alleine Herr werden musste. Ähnliches gilt für die zahlreichen Künstlerporträts Erwin Leisers wie “James Rosenquist“ oder “Das hungrige Auge – Avigdor Arikha“.

So wie Fassbinder in Genres und Stilen, Atmosphären und Sujets wechselte, so bewahrte sich auch Thea Eymèsz stets eine breite Vielseitigkeit in ihrem Arbeitsfeld. Das gleichberechtigte Nebeneinander von Kinofilm, Serie, TV-Film, Kurzfilm oder Dokumentation zeichnet ihr weit über 200 Titel fassendes Œuvre nachdrücklich aus. Für jedes Projekt, sagt sie selbst, habe sie immer ihr Bestes gegeben. Schließlich verlangt auch eine Fernsehserie, wie sie Eymèsz etwa mit Helmut Dietl (“Der ganz normale Wahnsinn“) oder Hans-Christian Müller (“Fast wie im richtigen Leben“) gemacht hat, letztlich dasselbe Maß an handwerklicher Perfektion, künstlerischer Entscheidungskraft und kreativer Intuition wie ein Spielfilm.

Selbstdarstellung ist Thea Eymèsz’ Sache nicht, selbst auf Festivals hat sie ihre Filme persönlich nie begleitet. Um so schöner, daß sie für Film+ eine Ausnahme macht.

In Anwesenheit der Editorin Thea Eymèsz zeigt die Hommage-Reihe von Film+ folgende Werke mit anschließendem Filmgespräch:

  • Am Samstag, den 27. November 2004 um 18.00 Uhr den Dokumentarfilm “Hiroshima – Erinnern und Verdrängen“ (Regie: Erwin Leiser)
  • Am Sonntag, den 28. November 2004 in einer Matinée ab 13.00 Uhr den Kurzfilm “Angst isst Seele auf“, in dem der Regisseur Shahbaz Noshir einen brutal diskriminierenden Vorfall in Szene setzt, den er selbst als Hauptdarsteller auf dem Weg zur Fassbinder-Theaterpremiere erlebte. Die Besetzung mit Brigitte Mira schlägt ebenso wie die Zusammenarbeit mit Thea Eymèsz und Jürgen Jürges an der Kamera den Bogen zu Fassbinders Original “Angst essen Seele auf“, das im Anschluß vorgeführt wird
  • Am Montag, den 29. November um 10.00 Uhr den Spielfilm
    Faustrecht der Freiheit“ (Regie: Rainer Werner Fassbinder)

 

 
 

 
 
 
 
 
 

 

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